2010-02-05

Neulich, im Tram

Gestärkt von Kaffee und Gomfibrötli machte ich mich heute Morgen auf den Weg zur Arbeit, stieg ins Tram und dachte nichts Böses.

Unbedarft liess ich meinen Blick schweifen, der jedoch plötzlich wie angewurzelt haften blieb, denn ich sah: Eine Frau, gedankenversunken ihr Minipic kauend. Minipic. Sie erinnern sich: Das ist die berüchtigte Kombination aus "Fleisch vom Rindsstotzen [...] zusammen mit ausgewählten Gewürzen und [...] hochwertigem Speck" (hier nachzulesen). Obwohl Minipic anscheinend "[b]esonders beliebt ist [...] bei Auto- und Radfahrern, Wanderern – und natürlich bei Kindern", konnte ich -- selber ein bekennender Wurstliebhaber -- mich in diesem Moment so gar nicht dafür erwärmen.

Ich versuchte, eine rationale Erklärung zu finden. Vielleicht arbeitete die Gute ja auch auf dem Bau und hatte morgens um 8:30 schon Mittagspause (aber warum würde sie ihre Mittagspause im Tram machen?), oder vielleicht war sie gerade fertig mit ihrer Nachtschicht und stimmte sich auf dem Nachhauseweg auf ihren Znacht ein, aber irgendwie sah sie nach beidem so gar nicht aus.

Mich sonst ja immer und fast mantramässig über die schweizerbünzlige Kleinkariertheit beklagend, hätte ich mich heute ganz gegen meine Überzeugungen über eine gnadenlose Durchsetzung des allgemeinen und absolut unantastbaren Ess- und Trinkverbots in den öffentlichen Verkehrsmitteln sehr gefreut, und hätte bei einem Haar angefangen, lautstark GIU-LI-ANI! zu skandieren. Glücklicherweise stand ich ausserhalb der würstlichen Duftweite, sonst hätte ich -- ja, was hätte ich? Ich weiss nicht. Aber ich schätzte mich glücklich im Unglück.

Dann, umsteigen -- ah, frische Luft. Die drohende Kontamination meines Bulbus olfactorius durch den geruchlichen Fall-out von Rindsstotzen und Co. sass mir noch in den Knochen. Doch was trat dann in mein Gesichtsfeld? Ein Mann, einen Energiedrink schlürfend, die Duftwolke haarscharf an mir vorbeischrammend.
HA! Ein Klassiker. Das konnte mich jetzt nun wirklich nicht mehr aus der Ruhe bringen. Dafür war die Erinnerung an die Pökelwurst noch zu frisch. Ich triumphierte innerlich! Bis der Typ etwas aus dem Mantel hervorholte und sich anschickte, einen grossen Bissen von seinem Schoggistängeli zu nehmen. Schoggi und Energiedrink: Das war zuviel. Mein Nervenkostüm fiel in sich zusammen, mein Magen drehte sich, und ich rannte. Rannte, um zu vergessen, rannte, um mich in Sicherheit zu bringen, um mich im Büro zu verkriechen und an einem Röhrchen Vitamintabletten zu schnüffeln.

Bei beiden Individuen handelte es sich weder um deutsche Professoren noch um Burkaträgerinnen, und sie führten, soweit ich das beurteilen konnte, auch kein Minarett mit sich. Aber ich war trotzdem dagegen. Vielleicht sollte ich eine Initiative lancieren.